Während Teile Europas mit Schnee überzogen sind und sogar Madrider mit dem ungewohnt strengen Winter kämpfen, echauffieren sich Hamburger*innen über die „unvernünftigen Rodler“ im Harz; dabei spazieren sie selbst zu Tausenden an Alster oder Elbe entlang. Hier sind ein paar Momentaufnahmen aus der schneefreien Hansestadt vom Wochenende.
Inhalte dieses Beitrags
Corona-Regeln: "Verstöße werden konsequent verfolgt"
Es ist ziemlich kalt und windig an diesem Freitagmittag und statt des in den Wettervorhersagen angekündigten Schnees fällt leichter Nieselregen auf die Hansestadt. Trotzdem will Matthias Morr den geplanten gemeinsamen Spaziergang zur Brücke 10, Hamburgs berühmtester Fischbude am Ende der Landungsbrücken, unbedingt „durchziehen“. „Ich fürchte, es wird auf absehbare Zeit nicht besser“, hatte mir Matthias, den die gesamte deutsche Kreuzfahrtbranche als „Schiffstester“ kennt, zur Motivation noch eine Stunde vor dem geplanten Treffpunkt am Nordausgang des Hauptbahnhofs mitgeteilt.
Der Bahnhof und die Innenstadt einschließlich des Rathausmarktes sind nahezu menschenleer – und das am Freitagmittag. Dennoch behalten wir auf dem gesamten Weg bis zu den Landungsbrücken unsere „Schnutenpullis“ auf. Schließlich hatte Hamburgs Partykönig und Innensenator Andy Grote über die Lokalmedien angedroht, dass „Verstöße konsequent verfolgt werden“. Versäumnisse der „Stadt“ werden dagegen wohl nicht geahndet, zum Beispiel das Fehlen von Hinweisen, wo die Mund- und Nasenbedeckung angelegt werden muss – und wo nicht. Die Überlegung, uns an anderen Passanten zu orientieren, erweist sich als wenig aussichtsreich, weil kaum ein Fußgänger in der Hamburger City unterwegs ist.
Tagesschau und Dragqueen "in Zivil"
Immerhin – auf den St. Pauli Landungsbrücken besteht seit ein paar Wochen keine „Schnutenpullipflicht“ mehr. Auch hier sind wir fast die einzigen Besucher an diesem grauen Freitagmittag. Ganz am Ende der 800 m langen Pier, vor der anvisierten „Brücke 10“ mit den besten Fischbrötchen der Stadt, warten ein Reporter und eine Fotografin der „Bild-Zeitung“ – nicht auf uns, sondern auf Constantin Schreiber, den neuen Nachwuchsmann bei der „Tagesschau“.
Während wir unsere knackigen Brötchen belegt mit Backfisch und Matjes in gebührendem Abstand zum Verkaufstresen der Fischbude genießen, beobachten wir das „Shooting“ mit dem bescheiden auftretenden Nachwuchsstar in der deutschen TV-Szene. Den anderen mittäglichen Gast an „Brücke 10“ hätte ich ohne Matthias‘ Hinweis gar nicht erkannt: Dragqueen Olivia Jones hat „in Zivil“ irgendwie Ähnlichkeit mit Achim Reichel, ist nur größer und wohl auch ein wenig fülliger als der ebenfalls berühmte Hamburger Musiker.
"Kronzeugen" für 1,8 Millionen Hamburger*innen
Hamburg hat an diesem 7. Januar als erstes der norddeutschen Bundesländer den so genannten „verschärften Lockdown“ eingeführt. Wichtigstes Merkmal: Ein Haushalt darf sich nur noch mit einer weiteren Person treffen. Diese Rahmenbedingungen plus den Sicherheitsabstand von 1,50 m halten Matthias und ich ein. Dabei begrüßen und verabschieden wir uns bei den gelegentlichen Treffen schon seit Monaten durch Zusammenstoßen der Ellbogen, ganz so wie uns das Jens Spahn im Fernsehen vorgemacht hat.
Während wir von der „Verschärfung“ auf unserem Spaziergang eigentlich gar nichts bemerkt haben, ist das „Hamburger Vorpreschen“ für Nachrichtenredaktionen bundesweit – und darüber hinaus bis nach Österreich ein Thema. Auf dem Rückweg werden wir am Rathausmarkt von einem Team im Auftrag von „Servus TV“ abgefangen und nacheinander ins „Kreuzverhör“ genommen. In der abendlichen Hauptnachrichtensendung sind wir beide dann die einzigen „Kronzeugen“ dafür, das die Verschärfungen bei den „1,8 Millionen Einwohnern für wenig Begeisterung sorgen“. Anschließend werden wir gleich an ein Team weitergereicht , dass für „Welt“, „Pro Sieben“ und „Sat.1“ offenbar „Hamburger Lockdown-Opfer“ sucht, die wir beide zum Glück jedoch nicht wirklich sind. Nach zwei „Fernsehauftritten“ fragt mich abends meine Tochter Julia, ob wir auf dem Rathausplatz eine Pressekonferenz gegeben hätten.
Schneechaos in Madrid
Am Samstag amüsieren wir uns zunächst mit Inges Freund*innen in Madrid über den unerwarteten Schneefall in Spaniens Hauptstadt. Wir lachen über Bilder und Videos, die Menschen auf Schlitten und Skiern an der Plaza de Castilla oder bei der Schneeballschlacht an der Puerta del Sol zeigen. Dass der Wintereinbruch in weiten Teilen Spaniens mit erheblichen Problemen verbunden ist, erkennen wir erst so richtig am Sonntagmorgen. Inge hat von einem Schulfreund erfahren, dass die Versorgung in einem Teil Madrids inzwischen fast zusammengebrochen ist. Die meisten Supermärkte sind geschlossen. Einige der Läden, die vorwiegend von Asiaten betrieben werden, haben dagegen offen; die Inhaber verlangen jedoch das Doppelte der normalen Preise für Waren des täglichen Bedarfs. Eine andere Schulfreundin steht stundenlang bei bitterer Kälte vor einem der wenigen geöffneten Supermärkte an, um die nötigsten Lebensmittel einzukaufen.
In den deutschen Medien und in den Sozialen Netzwerken sind diese negativen Seiten des spanischen Winters bislang kaum Thema. Dabei ist zu befürchten, dass sich die Situation in den kommenden Tagen sogar noch verschärfen wird, weil nach den heftigen Schneefällen jetzt eine Kältewelle angekündigt ist. Da viel zu wenig Räumgerät zur Verfügung steht und Autos sowie Liefer- und Lastwagen in Spanien selten Winterbereifung haben, droht eine ernsthafte Versorgungskrise. Zudem verfügen viele Wohnungen nur über unzureichende Beheizungen, wovon vor allem sozial Schwächere betroffen sein werden. Wir lernen daraus, dass Schnee und Kälte keinesfalls nur Spaß bringen.
Auf zur Alster
Endlich. Nach einem „durchwachsenen“ Samstag gibt’s am Sonntag in Hamburg zwar immer noch keinen Schnee, dafür aber auch keinen Regen, sondern ab Mittag „richtigen“ Sonnenschein. Corona hin – verschärfter Lockdown her. Hansestädter lassen sich bei gutem Wetter ihren Spaziergang nicht nehmen. Die bevorzugten Ziele sind die Alsterseen sowie das Elbufer am Hafen und weiter flussabwärts bis in den Nobelstadtteil Blankenese.
Nach nur wenigen Minuten an der Krugkoppelbrücke, dem nördlichen Ende der Außenalster, ist zu erkennen, dass auch an diesem Sonntag wieder Tausende über Hamburgs 7,4 km langen „Laufsteg der Eitelkeiten“ wandeln, fast alle ohne Mund- und Nasenschutz. Der Mindestabstand von 1,50 m ist in diesem Gedränge ohnehin kaum einzuhalten. Im Vorbeigehen ist zu hören, dass sich einige dieser „Alsterläufer*innen“ über die „unverantwortlichen Idioten“ aufregen, die „jetzt trotz Corona in den Harz zum Rodeln fahren“ würden.
Habe ich das richtig verstanden: Spazierengehen oder Rodeln in Hahnenklee „in Zeiten von Corona“ ist unverantwortlich, weil da das Virus gestreut werden könnte? Und bei der Massenwanderung um die Hamburger Alster sind alle immun? Oder liegt es einfach daran, dass „Tagesschau“-, „Spiegel-“ und/oder „Bild“-Redakteur*innen die Hamburger Alster und ähnliche Orte deswegen noch nicht auf ihre „Schwarzen Listen“ gesetzt haben, weil sie dort selbst gern unterwegs sind? Nun gut. Weil Schlittenfahren mangels Schnee in der Hansestadt zurzeit ohnehin nicht möglich ist, tun einige Hamburger*innen auch mitten im Winter bei Temperaturen kurz über dem Gefrierpunkt das, was sie auch sonst im Verlauf des übrigen Jahres gern machen: Sie rühren die Alster um. Richtig heißt das Stand-Up-Paddling – und so „geht“ Rodeln im Hamburger Winter.
Damit sollte eigentlich dieser Blogeintrag enden. Dann sah ich och die wunderschönen Bilder vom Sonnenuntergang in Glashütten im verschneiten Taunus, die mir meine Kollegin Heidi Koch zuschickte. Da wurde ich richtig neidisch auf ein verpasstes Winterwochenende. Wenn man den Meteorologen glauben kann, wird Hamburg jedoch vorerst schneefrei bleiben.
Sonnenuntergang in Glashütten im Taunus | Bild: Heidi Koch