Antenne MV war eine zu kurze Erfolgsstory
Am Pfingstmontag 1993 gingen wir mit Antenne MV auf Sendung. Das erste Privatradio in Mecklenburg-Vorpommern war eine Erfolgsstory, die leider viel zu schnell zu Ende ging. Ich bin heute noch stolz darauf, dass ich die ersten sechs Jahre als Geschäftsführer und Programmdirektor gemeinsam mit großartigen Mitarbeitern gestalten durfte. Zum 30. Jahrestag des Sendestarts habe ich noch einmal ein paar Erinnerungen zusammengestellt.
Die Antenne auf dem Dorf
“Die Antenne auf dem Dorf” lautete die Überschrift zu einem Artikel, den Ralph Schipke am 27. Februar 1993 im Nordkurier, der Regionalzeitung für den ehemaligen Bezirk Neubrandenburg, veröffentlichte. Es war seinerzeit das erste Mal, dass die Öffentlichkeit von dem bevorstehenden Sendestart des ersten Privatsenders in Mecklenburg-Vorpommern erfuhr.
Gut drei Monate später, am 31. Mai, dem Pfingstmontag im Jahr 1993 gingen wir dann mittags um 12.00 Uhr auf Sendung. Der damals 22 Jahre junge Peter Kranz, zunächst Wortchef und später Chefredakteur, machte die erste Ansage aus dem vermutlich idyllischst gelegenen Funkhaus der Republik:
Die Idylle in der gut 3.000 Einwohner zählenden Gemeinde Plate, 15 Kilometer entfernt vom Stadtzentrum in Schwerin am Rande des Naturschutzgebietes Lewitz gelegen, war nicht der alleinige Grund dafür, warum wir uns seinerzeit entschlossen, mit dem Sender aufs Dorf zu ziehen. Nachdem die von der Holtzbrinck-Tochter AVE und von Gesellschaftern des damals längst erfolgreichen Privatsenders Radio Schleswig-Holstein geführte Anbietergruppe Anfang Februar 1993 die Lizenz zum Senden in Mecklenburg-Vorpommern erhalten hatte, begaben wir uns sofort auf die Suche nach einem geeigneten Standort — zunächst in Schwerin.
In der Landeshauptstadt herrschte damals allerdings noch Goldgräberstimmung, zumindest auf dem gewerblichen Immobilienmarkt: Für völlig abgewrackte Büroräume wurden Mietpreise gefordert, die seinerzeit kaum in der Hamburger Innenstadt zu erzielen waren. Eine Alternative fand unser Marketingchef Uli Gienke dank seiner exzellenten Kontakte in einem damals teilweise leerstehenden Bürogebäude direkt am malerischen Störkanal gelegen in der Gemeinde Plate.
Der Mietzins war hier erträglich — und Plate hatte für das gerade entstehende Privatradio noch einen weiteren Vorteil: Wir waren für die Rostocker kein “Schweriner Sender” und für die Schweriner keine “Fischköpfe” aus Rostock. So konnten wir uns in der Folge auch dank unserer Außenstudios in Rostock, Neubrandenburg und Stralsund als Sender für das ganze Land profilieren und etablieren.
Wir waren kein Dudelfunk
Antenne MV — und darauf bin ich heute noch stolz — war in den Anfangsjahren kein Dudelfunk, sondern ein journalistisches Schwergewicht in Mecklenburg-Vorpommern. Unsere Berichterstattung war von Anfang an so ambitioniert und engagiert, dass schon nach dem zweiten Sendetag die erste Klage bei uns einging. Einer unserer Redakteure hatte die Machenschaften eines betrügerischen Busunternehmers (klar, das war ein “Wessi”) aufgedeckt, der bei angeblichen Kaffeefahrten brave Mecklenburger übers Ohr gehauen hatte. Die Klage lief ins Leere, der dubiose Busreiseveranstalter verschwand aus Schwerin und wir machten unbeeindruckt in Plate weiter.
In der Folge deckten unsere Redakteure unter anderem Machenschaften des Verfassungsschutzes auf („Die Buntgescheckten-Affäre“), brachten Minister in Erklärungsnot und forcierten gar deren Rücktritte, wie den des damaligen Innenministers Rudi Geil im Sommer 1996. Antenne MV wurde damit zum „Aufmacher“ für den Beitrag „Scharmützel am Zelt“, den „Der Spiegel“ am 30. Juni 1996 veröffentlichte:
Wenn Rudi Geil, CDU-Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, in diesen Tagen Radio hört, klingt ihm immer mal wieder ein Lied in den Ohren: »Ich bin so froh, daß ich ein Schlapphut bin – daß ich ein Schlaaaapphut bin. Versuch dich bloß nicht zu verstecken, weil ich sowieso gewinn“. Weil ich ein Schlaaaapphut bin.« Der fröhliche Sommerhit, eine Eigenproduktion des privaten Radiosenders Antenne MV nach dem Vorbild des Schlagerrefrains »Weil ich ein Mädchen bin«, persifliert eine peinliche Aktion der Schweriner Verfassungsschützer.
Fünf Jahre nach dem Mauerfall rekonstruierten wir noch einmal nahezu minutengenau den Abend des 9. November 1989. Dafür gab’s sogar einen Radiopreis – es war längst nicht die einzige Auszeichnung in den Anfangsjahren von Antenne MV.
Sparsamkeit und Diegos Vorzeigetechnik
Die malerische Lage unseres Funkhauses war nicht der alleinige Grund dafür, warum wir schon bald nach dem Sendestart immer wieder Besuch von Kollegen anderer Radiostationen aus ganz Deutschland bekamen. Es hatte sich seinerzeit in der Branche herumgesprochen, dass unsere Technik nicht nur bestens funktionierte, sondern auch noch unglaublich preiswert war.
Unser Technikchef Diego Ludwig hatte es verstanden, die damaligen Möglichkeiten der Digitalisierung mit vorhandener analoger Technik so sinnvoll zu kombinieren, dass es nie zu Ausfällen kam. Ich hatte Diego bei seiner Verpflichtung die (gar nicht mal so ernst gemeinte) Vorgabe gemacht, die gesamte Technik des Senders von den Sendestudios bis zum Reportage-Rekorder für weniger als 1 Million D-Mark zu beschaffen. Er brauchte nur 950.000, weil Diego viele Dinge selbst machte, für die andere Sender teure externe Fachleute anheuern mussten.
Sparsamkeit und überraschend hohe Einnahmen aus dem Verkauf unserer Werbezeiten führten dazu, dass die Gesellschafter von Antenne MV — darunter auch die mehrfache Olympiasiegerin Katrin Krabbe — bereits eineinhalb Jahre nach dem Sendestart ordentliche Renditen ausgeschüttet bekamen. Im Jahr 1996 kauften wir das Bürogebäude an der Stör — damit wurde auch das Funkhaus Plate ‘was eigenes.
Einst waren wir 49
Zum fünften Geburtstag — Ende Mai 1998 — hatten wir 38 der damals insgesamt 49 Moderatoren, Redakteure, Korrespondenten, Techniker und Werbezeitenverkäufer zu einem Gruppenfoto vor unserem “Showtruck” vor dem Funkhaus Plate versammelt. Ende desselben Jahres habe ich Antenne MV verlassen.
Podcast: So war Antenne MV
Ingo Lorenz, Mitarbeiter der ersten Stunde, stellvertretender Chefredakteur, Moderator, Ausbilder und… war viele Jahre lang eine der Stützen des Programms von Antenne MV. Der heutige Nachrichtenredakteur bei der Ostseewelle hat inzwischen 10 Folgen mit dem Titel: So war Antenne MV produziert. Wie immer hat Ingo einen tollen Job gemacht. Beim Zuhören habe ich mich immer wieder in die wunderbaren Jahre im Funkhaus Plate zurückversetzt gefühlt. Alle Folgen stehen kostenlos bei ⇒ Soundcloud zur Verfügung.
Die Erinnerung ist häufig schöner, als die Realität jemals war. Klar, es gab auch in den ersten Jahren bei Antenne MV Schwierigkeiten, Reibereien, Eifersüchteleien und auch so manchen Beitrag, der besser nicht gesendet worden wäre. Dennoch gehören die Jahre von 1993 bis 1998 im Funkhaus Plate zu der beruflich schönsten Zeit in meinem Leben. Mit vorwiegend jungen und ambitionierten Mitarbeitern einen solchen Sender aufbauen zu dürfen, ist ein Glücksfall für den ich heute noch dankbar bin.
Antenne MV gibt’s nicht mehr. Nachdem zunächst der Standort im Februar 2016 aus dem wundervollen Funkhaus Plate nach Rostock verlegt wurde, kam im Mai 2021 schließlich das absehbare Aus. Jetzt läuft auf den Frequenzen irgendwas, das sich „80s80s“ nennt.