Abenteuer Travemünde
Bummeln, Einkaufen und Essen gehen. Wir haben für ein paar Stunden die Corona-Trutzburg Hamburg hinter uns gelassen und gut 100 Kilometer entfernt in Travemünde ein wenig Normalität genossen. Hier gibt's Impressionen von unserem immer noch nicht alltäglichen Ausflug an die Ostsee.
In Schleswig-Holstein leben Deutschlands glücklichste Menschen – besonders im Frühjahr 2021. Während das benachbarte Hamburg mit Ausgangssperren und anderen Maßnahmen zur Corona-Trutzburg ausgebaut wurde und Mecklenburg-Vorpommern die Landesgrenzen für Besucher schließt, gibt’s im nördlichsten Bundesland schon wieder erfreulich viel Normalität. Wir haben am Donnerstag vor Pfingsten in Travemünde diese neue Freiheit für ein paar Stunden ausgekostet.
Jetzt bloß keinen Fehler machen. Am Donnerstagvormittag sind wir kurz vor dem Autobahnkreuz Hamburg-Ost. Wenn wir jetzt aus alter Gewohnheit auf der A24 in Richtung Berlin weiterführen, erreichten wir nach 40 Kilometer den ehemaligen Grenzübergang Gudow. Dahinter beginnt Mecklenburg-Vorpommern. Soweit bekannt, ist das Herrschaftsgebiet der Sozialdemokratin Manuela Schwesig die einzige Verwaltungsregion Europas, in die keine auswärtigen Besucher einreisen dürfen. Wer dennoch versucht, sich bis zur Ostsee oder an die Mecklenburger Seenplatte konspirativ durchzuschlagen, riskiert saftige Bußgelder. Wir müssen unseren Besuch am Alten Strom in Warnemünde noch so lange aufschieben – bis die Regentin uns wieder in ihr Hoheitsgebiet einreisen lässt.
Weil bekannt ist, dass die cleveren Schleswig-Holsteiner ihre Besucher nicht jagen, sondern verbunden mit so einigen Freizügigkeiten vielmehr willkommen heißen, fahren wir diesmal am Autobahnkreuz Hamburg Ost auf die A1 und erreichen nach einer knappen Stunde die von Google Maps auserkorene nächstgelegene Parkmöglichkeit zum Zentrum von Travemünde. Auf dem Parkplatz am Fischereihafen – so der offizielle Name – kostet das Tagesticket vier Euro, was wir für ganz okay halten. Nur – als wir aussteigen, sehen wir weder einen Fischereihafen, noch die Trave und wundern uns: Wie der Name des Lübecker Stadtteils schon sagt, sollte ja Travemünde eigentlich an der Mündung der Trave in die Ostsee liegen. Etwas verunsichert folgen wir anderen Besuchern, die ebenfalls gerade angekommen sind und offensichtlich wissen, wo’s hier weitergeht: Entlang mehrerer riesiger Baustellen und über einen etwas versteckt gelegenen Querweg erreichen wir nach etwa 400 Metern das Wasser.
Aber auch hier, direkt an der Trave, wird gebaut – und das vor allem laut. Vielleicht hätten wir doch besser an den nur zehn Kilometer entfernten Timmendorfer Strand fahren sollen, wie uns das ein ortskundiger Freund empfohlen hatte. „Nein, jetzt sind wir in Travemünde und schauen uns das auch an„, entscheidet Inge und erstickt damit aufkommende Quengeleien von Julia und mir im Keime. Also gehen wir weiter an der Trave entlang. Auf Höhe der Priwall-Fähre tauchen endlich hübsche Häuser auf. Hier wechseln wir auf die Vorderreihe, eine Fußgängerzone, die parallel zur Trave verläuft.
Das ist das Travemünde, das wir von unserem letzten kurzen Besuch vor acht Jahren in Erinnerung haben. In den hübschen Häusern auf der dem Land zugewandten Seite sind vor allem Geschäfte, Boutiquen und zahlreiche Restaurants untergebracht. Die bekannteste Adresse in Travemünde ist wohl das Café Niederegger, eine Filiale des Traditonshauses aus Lübeck. Hier gibt es nicht nur das weltberühmte Lübecker Marzipan, sondern auch die unglaublich köstliche Niederegger Nusstorte, deren feine Füllung von einer mächtigen Marzipanschicht überzogen ist. Auf der Wasserseite an der Vorderreihe befinden sich ebenfalls einige Restaurants, aber auch Fischbuden und andere Imbisse. Selbst Gosch, der von der Insel Sylt stammende Betreiber zahlreicher Fischrestaurants im Norden, hat hier eine Filiale.
Eigentlich hatten wir noch vor weiter zu gehen, am hoch aufsteigenden Maritim Hotel und dem Alten Leuchtturm vorbei bis auf die Travemünder Strandpromenade. Doch entgegen aller zuvor eingeholten Wettervorhersagen, wird der Himmel zunehmend dunkler. Als Julia versichert, erste Regentropfen abbekommen zu haben, machen wir kehrt und gehen zum Restaurant Casa Grande, das ganz in der Nähe der Priwall-Fähre liegt. Auf der Terrasse dürfen wir ohne vorherigen Schnelltest Platz nehmen, drinnen wäre der erforderlich. Wir bekommen einen Platz mit Blick auf die Trave.
Die Karte verspricht beste italienische Küche, wobei das Preisgefüge nicht unbedingt günstig ist. Das ist unser erstes gemeinsames Familienessen in einem Restaurant seit dem vergangenen Oktober, deswegen lassen wir’s “krachen”. Nach den Bruscetta “für alle”, die neben Tomaten auch mit hauchdünnen Parmesanscheiben serviert werden, bekommt Inge “Lachsfilet mit Babyspinat in Safran-Risotto auf Hummersauce”. Julia und ich entscheiden uns für das “Ostsee-Dorschfilet auf Risotto mit Kräuterseitlingen und Trüffelschaum”. Das alles ist großartig zubereitet und schmeckt sogar noch besser, als es sich auf der Karte liest. Auch wenn am Ende eine Rechnung von knapp 120 Euro samt Getränken und drei abschließenden Cappuccinos zusammenkommt, war’s uns das nach dieser langen corona-bedingten Restaurant-Abstinenz allemal wert.
Schade, als wir uns nach dem großartigen Essen entlang der Trave noch ein wenig die Beine vertreten wollen, zieht der Himmel immer mehr zu. Kaum sitzen wir wieder im Auto, prasselt ein regelrechter Platzregen nieder. Und dennoch war unser „Abenteuer Travemünde“ nach endlosen Wochen in der Corona-Trutzburg Hamburg der schönste Tag im Frühling 2021.
Vorderreihe in Travemünde mit dem Hotel Maritim