Antenne MV – so wird’s nie wieder sein

Mecklenburg-Vorpommerns erstes Privatradio soll ab Mai als "80s80s Radio" weitersenden. Damit geht eine Ära zu Ende, die 28 Jahre zuvor mit so viel Enthusiasmus begonnen hatte. Weil ich in den ersten sechs Jahren als Geschäftsführer und Programmdirektor dabei sein durfte, habe ich hier ein paar Erinnerungen an die Anfangszeit zusammengestellt.

Als ich am Freitag (9. April) die Nachricht erhielt, dass es Antenne MV nun bald nicht mehr geben wird, wollte ich zunächst einen wütenden Blogbeitrag über die aus meiner Sicht negative Entwicklung vieler Radiosender zu tumben Musikabspielstationen schreiben. Zum Glück hat mich meine kluge Frau – Inge Seibel, selbst Privatradiomacherin der ersten Stunde – von diesem Vorhaben abgehalten. Sie hat Recht – wir werden diese Entwicklung nicht aufhalten können. Ohne jegliche Reaktion will ich Antenne MV dennoch nicht in der Versenkung verschwinden lassen. Deswegen habe ich einen Artikel noch einmal „ausgegraben“ und aufgearbeitet, den ich im Februar 2016 für die Radioszene aus Anlass des Umzugs von Plate nach Rostock verfasst hatte. Darin geht’s vor allem um die Anfangszeit von Antenne MV und viel Liebe zum „Radio machen“. Ich befürchte, dass davon inzwischen nicht mehr allzu viel übrig geblieben ist. Nicht nur bei „80s80s Radio“.

Die Antenne auf dem Dorf

“Die Antenne auf dem Dorf” lau­tete die Über­schrift zu einem Arti­kel, den Ralph Schipke am 27. Februar 1993 im Nord­ku­rier, der Regio­nal­zei­tung für den ehe­ma­li­gen Bezirk Neu­bran­den­burg, ver­öf­fent­lichte. Es war sei­ner­zeit das erste Mal, dass die Öffent­lich­keit von dem bevor­ste­hen­den Sen­de­start des ers­ten Pri­vat­sen­ders in Mecklenburg-Vorpommern erfuhr. Gut drei Monate spä­ter, am 31. Mai, dem Pfingst­mon­tag im Jahr 1993 gin­gen wir dann mit­tags um 12.00 Uhr auf Sen­dung. Der damals 22 Jahre junge Peter Kranz, zunächst Wort­chef und spä­ter Chef­re­dak­teur, machte die erste Ansage aus dem ver­mut­lich idyl­lischst gele­ge­nen Funk­haus der Republik:

Die Idylle in der gut 3.000 Ein­woh­ner zäh­len­den Gemeinde Plate, 15 Kilo­me­ter ent­fernt vom Stadt­zen­trum in Schwe­rin am Rande des Natur­schutz­ge­bie­tes Lewitz gele­gen, war selbst­re­dend nicht der allei­nige Grund dafür, warum wir uns sei­ner­zeit ent­schlos­sen, mit dem Sen­der aufs Dorf zu zie­hen. Nach­dem die von der Holtzbrinck-Tochter AVE und von Gesell­schaf­tern des damals längst erfolg­rei­chen Pri­vat­sen­ders Radio Schleswig-Holstein geführte Anbie­ter­gruppe Anfang Februar 1993 die Lizenz zum Sen­den in Mecklenburg-Vorpommern erhal­ten hatte, bega­ben wir uns sofort auf die Suche nach einem geeig­ne­ten Stand­ort — zunächst in Schwe­rin. In der Lan­des­haupt­stadt herrschte damals aller­dings noch Gold­grä­ber­stim­mung, zumin­dest auf dem gewerb­li­chen Immo­bi­li­en­markt: Für völ­lig abge­wrackte Büro­räume wur­den Miet­preise gefor­dert, die sei­ner­zeit kaum in der Ham­bur­ger Innen­stadt zu erzie­len waren. Eine Alter­na­tive fand unser Mar­ke­ting­chef Uli Gienke dank sei­ner exzel­len­ten Kon­takte in einem damals teil­weise leer­ste­hen­den Büro­ge­bäude direkt am male­ri­schen Stör­ka­nal gele­gen in der Gemeinde Plate.

Es waren einst 49 Mitarbeiter*innen

Zum fünf­ten Geburts­tag — Ende Mai 1998 — hat­ten wir 38 der damals ins­ge­samt 49 Mode­ra­to­ren, Redak­teure, Kor­re­spon­den­ten, Tech­ni­ker und Wer­be­zei­ten­ver­käu­fer zu einem Grup­pen­foto vor unse­rem “Show­truck” vor dem Funk­haus Plate ver­sam­melt. Auf die­sem Bild fehlt schon Peter Kranz, der zunächst als Wort­chef, dann als Chef­re­dak­teur einen ganz ent­schei­den­den Anteil am Erfolg des Sen­ders hatte. Antenne MV — und dar­auf waren wir beson­ders stolz — war kein Dudel­funk, son­dern auch jour­na­lis­ti­sches Schwer­ge­wicht in Mecklenburg-Vorpommern.

Unsere Bericht­er­stat­tung war von Anfang an so ambi­tio­niert und enga­giert, dass schon nach dem zwei­ten Sen­de­tag die erste Klage bei uns ein­ging. Einer unse­rer Redak­teure hatte die Machen­schaf­ten eines betrü­ge­ri­schen Bus­un­ter­neh­mers (klar, das war ein “Wessi”) auf­ge­deckt, der bei angeb­li­chen Kaf­fee­fahr­ten brave Meck­len­bur­ger übers Ohr gehauen hatte. Die Klage lief ins Leere, der dubiose Bus­rei­se­ver­an­stal­ter ver­schwand aus Schwe­rin und wir mach­ten unbe­ein­druckt in Plate wei­ter. In der Folge deck­ten unsere Redak­teure unter ande­rem Machen­schaf­ten des Ver­fas­sungs­schut­zes auf („Die Buntgescheckten-Affäre“), brach­ten Minis­ter in Erklä­rungs­not und for­cier­ten gar deren Rück­tritte, wie den des dama­li­gen Innen­mi­nis­ters Rudi Geil im Som­mer 1996. Fünf Jahre nach dem Mau­er­fall rekon­stru­ier­ten wir noch ein­mal nahezu minu­ten­ge­nau den Abend des 9. Novem­ber 1989. Dafür gab’s sogar einen Radio­preis – es war längst nicht die ein­zige Aus­zeich­nung in den Anfangs­jah­ren von Antenne MV.

Malerische Lage und Vorzeigetechnik

Funkhaus Plate | Bild: Von Nites­hift (talk) — Selbst foto­gra­fiert, CC BY-SA 3.0, http://bit.ly/1O6jkko]

Die male­ri­sche Lage unse­res Funk­hau­ses war nicht der allei­nige Grund dafür, warum wir schon bald nach dem Sen­de­start immer wie­der Besuch von Kol­le­gen ande­rer Radio­sta­tio­nen aus ganz Deutsch­land beka­men. Es hatte sich sei­ner­zeit in der Bran­che her­um­ge­spro­chen, dass unsere Tech­nik nicht nur bes­tens funk­tio­nierte, son­dern auch noch unglaub­lich preis­wert war. Unser Tech­nik­chef Diego Lud­wig hatte es ver­stan­den, die dama­li­gen Mög­lich­kei­ten der Digi­ta­li­sie­rung mit vor­han­de­ner ana­lo­ger Tech­nik so sinn­voll zu kom­bi­nie­ren, dass es nie zu Aus­fäl­len kam. Ich hatte Diego bei sei­ner Ver­pflich­tung die (gar nicht mal so ernst gemeinte) Vor­gabe gemacht, die gesamte Tech­nik des Sen­ders von den Sen­de­stu­dios bis zum Reportage-Rekorder für weni­ger als 1 Mil­lion D-Mark zu beschaf­fen. Er brauchte nur 950.000, weil Diego viele Dinge selbst machte, für die andere Sen­der teure externe Fach­leute anheu­ern mussten.

Spar­sam­keit und über­ra­schend hohe Ein­nah­men aus dem Ver­kauf unse­rer Wer­be­zei­ten führ­ten dazu, dass die Gesell­schaf­ter von Antenne MV — dar­un­ter auch die mehr­fa­che Olym­pia­sie­ge­rin Kat­rin Krabbe — bereits ein­ein­halb Jahre nach dem Sen­de­start ordent­li­che Ren­di­ten aus­ge­schüt­tet beka­men. Im Jahr 1996 kauf­ten wir das Büro­ge­bäude an der Stör — damit wurde auch das Funk­haus Plate ‘was eigenes.

Die Erin­ne­rung ist häu­fig schö­ner, als die Rea­li­tät jemals war. Klar, es gab auch in den ers­ten Jah­ren bei Antenne MV Schwie­rig­kei­ten, Rei­be­reien, Eifer­süch­te­leien und auch so man­chen Bei­trag, der bes­ser nicht gesen­det wor­den wäre. Den­noch gehö­ren die Jahre von 1993 bis 1998 im Funk­haus Plate zu der beruf­lich schöns­ten Zeit in mei­nem Leben. Mit vor­wie­gend jun­gen und ambi­tio­nier­ten Mit­ar­bei­tern einen sol­chen Sen­der auf­bauen zu dür­fen, ist ein Glücks­fall für den ich heute noch dank­bar bin. Nach­dem ich im Sep­tem­ber 1998 den Sen­der ver­las­sen habe, bin ich nie wie­der nach Plate zurück­ge­kehrt, in “unser” Funk­haus an der Stör, von dem René Bau­mann, bes­ser bekannt als DJ BoBo, bei einem Besuch im Som­mer 1996 ein­mal sagte: “Wer hier arbei­ten darf, kann ein­fach nur glück­lich sein.” 

Ehemaliges Funkhaus Plate