Pssst, ich war verreist

Wer im zweiten Corona-Frühjahr 2021 auf Reisen geht, muss Behördenwillkür und den Unmut seiner Mitmenschen in Kauf nehmen. Dabei habe ich mich während zwei Kanaren-Kreuzfahrten mit Mein Schiff 2 viel sicherer gefühlt, als irgendwo in Deutschland. 

Der Corona-Depression entflohen

Es sind mit mir gerade mal noch 69  Fluggäste an Bord des Airbus A320-200 von Eurowings auf dem Weg nach Hamburg. Weitere 110 Passagiere waren zuvor bereits nach einer planmäßigen Zwischenlandung am neuen Berliner Flughafen abgesetzt worden. Wir alle kommen aus Las Palmas de Gran Canaria, wo am selben Morgen eine einwöchige Kanaren-Kreuzfahrt mit Mein Schiff 2 zu Ende gegangen war. Ich selbst durfte zwei Wochen der allgemein verbreiteten Corona-Depression in Deutschland entfliehen, weil ich als Landeskundlicher Lektor für zwei Reisen an Bord des Schiffes von TUI Cruises engagiert war. Natürlich freue ich mich auf mein Zuhause, auf meine Frau und meine Tochter. Und dennoch habe ich diesmal auch ein beklemmendes Gefühl, vermutlich wohl aus demselben Grund, wie das nette ältere Ehepaar neben mir: „Wer weiß, wann wir mal wieder verreisen dürfen“, rätselt die Frau, fast schon mit einem Schluchzen in der Stimme. Ich tue so, als habe ich diesen Satz überhört, weil ich keine Antwort weiß.    

Herrliche Aussichten auf Mein Schiff 2

Ruppige Einreisekontrolle

Schon beim Check-in auf dem Flughafen von Las Palmas wurden die „Digitalen Einreiseanmeldungen“ bei jedem Reisenden penibel kontrolliert. Nur wer seine Rückkehr aus dem  „Risikogebiet“ Kanarische Inseln über eine vom Robert Koch-Institut geschaltete Website bei seinem zuständigen Gesundheitsamt zuvor angemeldet hatte, darf auf Gran Canaria in das Flugzeug steigen. Während die Kontrolle des digitalen Dokuments in Las Palmas von Mitarbeiter*innen der Fluggesellschaft übernommen wurde, stürmen jetzt in Hamburg ein Dutzend bewaffnete Bundespolizist*innen auf die ahnungslosen Ankömmlinge zu, als diese über den Flugsteig das Abfertigungsgebäude betreten. Für einen Augenblick fühle ich mich wie bei einem Polizeieinsatz gegen Schwerverbrecher, so wie ich das nur aus schlechten ZDF-Krimis kenne. Der Umgangston gegenüber den überwiegend älteren Passagieren ist dabei nicht sonderlich freundlich und auf keinen Fall beruhigend: „Wo kommen Sie her?“, lautet eine überflüssige Frage, weil jetzt kurz vor 23.00 Uhr ohnehin nur eine Maschine in Hamburg-Fuhlsbüttel gelandet ist.   

Ich habe keine Ahnung, ob diese  Polizist*innen nur schlechte Laune haben, weil sie an diesem Freitagabend auf dem sonst völlig verlassenen Flughafen im Norden Hamburgs Dienst schieben müssen – oder gibt es doch etwa eine Anweisung von höherer Stelle Reiserückkehrer möglichst ruppig zu behandeln? Wer es in diesen Wochen des nationalen Corona-Notstands wagt ins Ausland zu verreisen, muss nicht nur behördlich angeordnete Schikanen in Kauf nehmen, sondern hat häufig auch einen schlechten Stand bei Freund*innen, Nachbar*innen oder Arbeitskolleg*innen. „Ich bin doch nicht blöd und versende Facebook-Posts von der Reise“, hatte mir ein Kollege aus der Künstler-Crew an Bord von Mein Schiff 2 gesagt. Der weithin bekannte Entertainer, der sich sonst mehrmals am Tag über Facebook und Instagram meldet, hat jetzt nach eigenen Angaben Angst vor etwaigen Shitstorms: „Du wirst doch gleich als Corona-Leugner oder Querdenker angesehen, wenn du ins Ausland reist.“

Hetzkampagne gegen Mallorca

Die Befürchtung des Künstlers kommt wohl nicht von ungefähr. Nachdem die Bundesregierung Mitte März die Reisewarnung für Mallorca wegen niedriger Inzidenzwerte aufgehoben hatte, setzte eine regelrechte Hetzkampagne gegen die Urlaubsinsel ein, die nicht zuletzt von Politiker*innen entfacht und von willfährigen Medien fortgeführt wurde. So beklagte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig via Facebook und Twitter:

Dass die Sieben-Tage-Inzidenz zu diesem Zeitpunkt auf Mallorca bei 21 lag, in Mecklenburg-Vorpommern allerdings bei 70, erwähnte die SPD-Politikerin nicht. Statt den vielen vom Tourismus abhängigen Menschen im deutschen Nordosten konkrete Perspektiven aufzuzeigen, stänkerte Schwesig gegen Mallorca und vergaß dabei, dass die Reisewarnung nicht etwa von spanischer Seite – sondern vom SPD-geführten Bundesaußenministerium aufgehoben wurde. Der sozialdemokratische Gesundheitsexperte Karl Lauterbach behauptete sogar in der ZDF-Talkrunde „Maybrit Illner“, dass die Corona-Zahlen in Mallorca geschönt seien: „Da wird auch noch getrickst, ich glaube da kein Wort“, sagte er in der Sendung am 25. März, ohne irgendwelche Belege dafür zu liefern. Diese Unterstellung wurde am folgenden Tag sowohl von der mallorquinischen Inselregierung, als auch vom spanischen Gesundheitsexperten Juan Carles March empört zurückgewiesen: „Wir sind hier schließlich nicht in einer Bananenrepublik, sondern in einem ernsthaft und professionell geführten Land“, zitierte ihn die deutschsprachige Mallorca Zeitung.  

40.000 wollen Ostern nach Mallorca

Trotz solcher Stänkereien deutscher Politker*innen, in Sozialen Netzwerken und Teilen der etablierten Medien gegen Mallorca-Reisen wollen 40.000 Deutsche ihren Osterurlaub auf der Baleareninsel verbringen. Dabei nehmen sie durchaus Einschränkungen in Kauf, die teilweise die Maßnahmen im eigenen deutschen Bundesland übertreffen: Der Mund- und Nasenschutz muss überall im öffentlichen Raum getragen werden. Dazu bestehen nächtliche Ausgangssperren zwischen 22.00 und 06.00 Uhr und gastronomische Betriebe dürfen nur ihre Außenbereiche bis 17.00 Uhr öffnen. Bei der Einreise auf der Baleareninsel muss ein negatives COVID-19-Testergebnis vorgelegt werden, das nicht älter als 72 Stunden sein darf. Vor der Rückreise muss auf Mallorca mindestens ein Schnelltest gemacht werden. Sollte dieser positiv ausfallen, müssen Reisende ihren Mallorca-Urlaub unfreiwillig um 14 Tage in Quarantäne auf eigene Kosten verlängern. Allerdings wurde bis zur Veröffentlichung dieses Posts noch kein „Corona-Fall“ unter den Urlaubern auf der Insel bekannt.

Corona-Teststation auf dem Spielbudenplatz in Hamburg-St. Pauli

Ich würde es wieder tun

Da ich nicht von den Balearen, sondern von den weiterhin als Risikogebiet eingestuften Kanaren nach Deutschland zurückgekehrt bin, muss ich grundsätzlich eine 14-tägige häusliche Quarantäne absolvieren. Inzwischen habe ich das negative Ergebnis des Corona-Tests vorliegen, für den ich am Samstag auf dem Spielbudenplatz inmitten des immer noch stillgelegten Hamburger Vergnügungsviertels St. Pauli gegurgelt habe. Unter dem Motto „Gurgeln statt Stäbchen“, habe ich 20 Sekunden eine Kochsalzlösung aus einem Becher gegurgelt, die dann von einem Labor in Stendal auf Covid 19 untersucht wurde. Dieses Verfahren wird wie ein PCR-Test anerkannt, kostet allerdings statt 70 oder gar über 100 Euro lediglich 24,90 Euro. Nach fünf Tagen in Quarantäne habe ich ab Donnerstag die Möglichkeit, mich „freitesten“ zu lassen, nochmal für 24,90 Euro – das ist es mir wert. Und – ich bereue trotz einiger behördlicher Fallstricke und möglicher Facebook-Freundschaftsentzügen nicht, zwei Wochen lang dieser kollektiven Depression im eigenen Land entkommen zu sein. Ich würde es wieder tun.  

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