Dicke Pötte hinterm Deich
In Ostfriesland können mehrmals im Jahr die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt aus nächster Nähe bestaunt werden. Die Überführungen der Cruise Liner aus der Meyer Werft in Papenburg über die Ems in die Nordsee lockt regelmäßig Tausende Schaulustige an. Im Oktober lugte die riesige AIDAnova hinterm Deich hervor. | Direkt zum Fazit | direkt zu den Tipps
Was Schaulustige zum Erstaunen bringt und Schiffsenthusiasten regelmäßig in Erregung versetzt, führt bei Umwelt- und Naturschützern oftmals zu Magenschmerzen: Von der Meyer Werft in der niedersächsischen Kleinstadt Papenburg, wo heutzutage die größten Kreuzfahrtschiffe der Welt gebaut werden, müssen die „Riesenpötte“ auf einer Strecke von 40 Kilometern über die Ems gezogen werden. Naturschützer beklagen vor allem, dass dafür der Fluss aufgestaut und an mehreren Stellen vertieft werden muss. Schiffsfans genießen dagegen die unmittelbare Nähe zu den gewaltigen schwimmenden Hotels auf den Deichen und/oder an den Brücken in Weener und Leer. Und sie bewundern die Kunst der Lotsen aus Emden, die gemeinsam mit den Schlepperkapitänen und Schiffsleitungen die Riesenschiffe durch die engsten Stellen manövrieren.
Als die AIDAnova am Mittag des 9. Oktober 2018 das Ems-Sperrwerk in Gandersum, nur wenige Kilometer vor Emden, bei bestem Wetter vor hunderten Schaulustiger passierte, schien kaum eine Zeitung zwischen Bordwand und Sperrwerkstor zu passen. Immerhin ist das neue Kreuzfahrtschiff von AIDA Cruises mit einer Vermessung von 183.900 BRZ das fünftgrößte auf der Welt – und das größte bislang von der Meyer Werft gebaute Schiff. Die AIDAnova ist 337 m lang, 42 m breit und wird bei Zweierbelegung der 2.500 Kabinen etwa 5.000 Passagiere aufnehmen. Es ist der erste Cruise Liner überhaupt, der mit Flüssiggas (LNG) betrieben wird, was die Umweltbelastung erheblich reduzieren sollte.
Etwa 20 Stunden dauert so eine Überführung aus der Meyer Werft in Papenburg bis in den Hafen von Emden, wo die bis dahin rückwärts über die Ems geschleppten Schiffe in Fahrtrichtung gedreht werden. Dabei können sich Zeiten und sogar Tage auch kurzfristig ändern, wenn der Wind zu heftig bläst und/oder der Wasserstand auf der Ems den Anforderungen nicht genügt. Bei der AIDAnova betrug die Verzögerung 12 Stunden, bevor der Überführungstross mit dem gigantisch großen Schiff und den kräftigen Schleppern am Montagabend gegen 19.00 Uhr an der Werft starten konnte und am nächsten Tag gegen 15.00 Uhr Emden ohne weitere Verzögerungen und ohne erkennbare Pannen erreichte. Schade, der Transport über die besonders schmalen Teile der Ems südlich der Stadt Leer fand diesmal bei Dunkelheit statt. Als der Tag anbrach, hatte die AIDAnova die Friedensbrücke in Weener und die Jann-Berghaus-Brücke in Leer schon passiert.
Ich bin am Dienstagmorgen von Leer aus entlang der Deichstraße in Richtung Emden gefahren und sah die AIDAnova zum ersten Mal nach wenigen Kilometern im Morgennebel hinter dem hohen Deich hervorlugen. Noch etwas weiter bei der kleinen Ortschaft Terborg waren die Seitenstreifen am Rande der Landstraße schon dicht besetzt. Ich sah Kennzeichen aus ganz Deutschland – und zwei Campingbusse aus den von hier aus nicht allzuweit entfernten Niederlanden. Um auf den Deich zu gelangen, musste ein Gatter überklettert werden. Anschließend galt es beim „Aufstieg“ auf die Deichkrone den Hinterlassenschaften der Schafe auszuweichen, deren Territorium hier halb legal betreten wurde. Oben auf dem Deich gab’s dann den ersten freien Blick auf das imposante neue Schiff, das sich in den überschwemmten Wiesen schon fast malerisch spiegelte. Davor grasten einige Kühe, die sich von dem dicken Pott hinter ihnen nicht merklich stören ließen.
Den nächsten Stop habe ich dann kurz vor der Ortschaft Oldersum eingelegt, wo ich am Siel mein Auto problemlos abstellen konnte. Von hier aus habe ich die AIDAnova auf einer Strecke von drei Kilometern auf ihrem Weg bis zum Ems-Sperrwerk zu Fuß begleitet, teilweise auf dem Deich, manchmal auch direkt am Wasser. Am Rande der überschwemmten, teilweise sumpfigen Wiesen muss man allerdings aufpassen, dass die Füße trocken bleiben. Dafür bekommt man wundervolle Bilder von den riesigen Schiffen, die hier zeitweise zum Greifen nahe sind.
Ich habe zum ersten Mal so eine Schiffsüberführung auf der Ems begleitet und würde werde es wieder machen, zum Beispiel wenn im März 2019 die Spectrum of the Seas bei Meyer fertiggestellt sein wird. Die Eindrücke und die Bilder rechtfertigen den überschaubaren Aufwand, zumal wenn jemand Interesse an der Seefahrt hat oder auch nur begeisterter Kreuzfahrer ist.
Es gibt allerdings einigen Verbesserungsbedarf am Rande der Überführungsstrecke: Wünschenswert ist, wenn mehr ausgewiesene Parkplätze – deutlich gekennzeichnet – vorhanden wären. Zwischen Oldersum und Ems-Sperrwerk herrschten über mehrere Kilometer teilweise chaotische Verkehrszustände – und das an einem Dienstag. „Was meinen Sie, was hier los ist, wenn so’n Dampfer am Wochenende überführt wird?“, unkte später ein Briefträger in Oldersum. Auch sollten die Zugänge auf die Deiche klar gekennzeichnet werden. Obwohl ich mit hunderten weiterer Schaulustiger über Gatter geklettert und Deichwiesen hinaufgestiegen bin, weiß ich immer noch nicht, ob das überhaupt legal ist.
Enttäuschend war es schließlich auch, dass bei so vielen Besuchern an der Überführungsstrecke nicht einmal ein ambulanter Imbiss vorhanden war – zumindest zwischen Leer und Ems-Sperrwerk nicht. Ich hatte mich im Vorhinein auf ein leckeres Fischbrötchen in Ostfriesland gefreut – Pustekuchen. Von dem bereits erwähnten Briefträger erhielt ich den Tipp, es doch mal in einem Lokal in Rorichum bei Oldersum (an der Deichstraße zwischen Leer und Emden) „zu versuchen“. Es blieb schließlich bei dem „Versuch“. Die Bedienung in dem Biergarten empfing mich dermaßen unfreundlich, dass ich gleich wieder Reißaus nahm. Bei einem Bäcker in Leer waren die belegten Brötchen schon ausverkauft, sodass ich hungrig zurück nach Hamburg fuhr. Schade. Ansonsten war’s ein schöner Tag.
Strecke: Die Schiffsüberführungen finden von der Meyer Werft in Papenburg (130 km von Bremen, 55 km von Oldenburg) über eine Strecke von 40 km auf der Ems bis zum Hafen von Emden statt. In der nachfolgenden Google Map sind die markanten Punkte der Überführung aufgeführt. Neben diesen – meistens sehr überlaufenen – Stellen kann man die Passagen auch von Deichen aus verfolgen; zum Beispiel zwischen Leer und Emden entlang der Deichstraße bei den Ortschaften Terborg, Oldersum und Gandersum (vor Passage des Ems-Sperrwerks).
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Termine: Bevorstehende Überführungen werden auf der Website der Meyer Werft bekannt gegeben. Solltet ihr eigens dafür nach Ostfriesland anreisen, informiert euch bitte regelmäßig, weil Zeitverschiebungen und sogar Änderungen der Tage für die Passage auch sehr kurzfristig möglich sind; z.B. wegen zu starker Winde oder vom Bedarf abweichendem Wasserstand auf der Ems. Im Jahr 2018 finden keine weiteren Überführungen mehr statt.
Schiffsgröße: BRZ steht für „Bruttoraumzahl“ und beschreibt den überbauten Rauminhalt eines Passagierschiffes. Der Wert beinhaltet damit die Faktoren Länge, Breite und Höhe. Eine Bruttoraumzahl entspricht in etwa 2,8 Kubikmetern – oder anschaulicher dargestellt – dem Rauminhalt einer Telefonzelle. Das zurzeit größte Kreuzfahrtschiff der Welt ist die „Harmony of the Seas“ mit 226.963 BRZ , die maximal 6.780 Passagiere aufnehmen könnte.
Besichtigung der Meyer Werft: Mit jährlich 250.000 Besuchern ist die Meyer Werft inzwischen eine der größten Touristenattraktionen in Norddeutschland. Die zweistündige Führung in deren Verlauf man u.a. die beiden Schiffbauhallen von Galerien aus zu sehen bekommt, kostet 13,50 Euro. Karten sollten unbedingt im voraus bei Papenburg-Marketing bestellt werden. Dort gibt es auch Infos zu Übernachtungsmöglichkeiten und weiteren Unternehmungen in und um Papenburg.